Der Kunstpreisträger des Landkreises Augsburg

2021 – Wolfgang Minaty

Wolfgang Minaty | Belletristik

Würdigung für jahrzehntelanges literarisches Schaffen

Mit der jährlichen Kunstpreisverleihung würdigt der Landkreis Augsburg das kreative Schaffen regionaler Kunst- und Kulturschaffender – von Jahr zu Jahr steht dabei eine andere Ausdrucksform im Vordergrund. Im Jahr 2021 widmete sich die Auszeichnung dem Bereich der Belletristik. Die Fachjury, bestehend aus Prof. Dr. Helmut Koopmann (ehemals am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der Universität Augsburg tätig), Peter Dempf (Schriftsteller und Gymnasiallehrer am Justus-von-Liebig Gymnasium, Kunstpreisträger im Jahr 2001) und Dr. Helmut Gier (ehemaliger Bibliotheksdirektor der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg), hat sich in diesem Jahr für den Bobinger Schriftsteller Wolfgang Minaty entschieden. Der Kunstpreis ist mit 3.500 Euro Preisgeld dotiert.

Wolfgang Minaty, Jahrgang 1947, ist studierter Germanist und Historiker, hat viele Jahre als Redakteur einer überregionalen Tageszeitung gearbeitet und ist aktuell als freier Journalist in Bobingen tätig. In seinen Werken setzt sich Minaty unter anderem intensiv mit dem Renaissance-Maler Matthias Grünewald auseinander, der Loreley, Alfred Döblin und der Eisenbahn. Über fast fünf Jahrzehnte hinweg steuerte Minaty zudem hunderte Essays, Glossen, Skizzen, Porträts, Interviews und Reportagen in Zeitschriften und Zeitungen bei. Im Rahmen der feierlichen Verleihung im Unteren Schlösschen in Bobingen sagte Jurymitglied und Laudator Prof Dr. Koopmann über Minatys literarisches Gesamtwerk: „Nichts ist nur so hingeraunt oder hergeflüstert. Minaty hat, worüber er auch schrieb, genau recherchiert, gesammelt, was zum Thema gehörte, und das mit der Sorgfalt eines Wissenschaftlers kommentiert, der sein Wissen verständlich kommunizieren kann, ohne je ins Banale oder Abgeschmackte zu verfallen.“

Landrat Martin Sailer, der den Kunstpreis übergab, ergänzte: „Der große Mehrwert, den Schriftsteller wie Sie unserer Gesellschaft bieten, ist ein neuer Blickwinkel auf die größeren und kleineren Details unserer Lebenswirklichkeit. Beobachter wie Sie, die unsere Welt gedanklich durchdringen und treffend in Worte fassen können, bereichern uns jeden Tag.“ Wolfgang Minaty ist der insgesamt sechste Kunstpreisträger im Bereich Belletristik.

Der moderne Flaneur

Auszug aus der Laudatiorede von Prof. Dr. Helmut Koopmann

Im 19 Jahrhundert tauchte ein Typus auf, der vorher nicht bekannt war und der die Literatur nachhaltig veränderte: der Flaneur. Er ging durch die Straßen, aber nicht, um voran- oder gar durchzukommen, er hatte es nicht eilig, sondern hielt immer wieder inne, registrierte etwas und machte sich darüber seine Gedanken: er war eigentlich so eine Art produktiver Müßiggänger in der Welt der eilig Vorüberhastenden, Der Flaneur war ein Bummelant, aber kein verbummelter Zeitgenosse; er hielt Distanz zu dem, was er beobachtete. Eines wollte davon auf keinen Fall: die Welt verbessern. Er war zwar der Meinung, dass sie durchaus verbesserungsbedürftig sei, aber hielt sich nicht für denjenigen, der sie verändern müsste. Er verkörperte als Typus, kurz gesagt, den europäischen Intellektuellen. Wir kennen die berühmten Flaneure der Vergangenheit, Baudelaire war ein solcher Chronist, der die Straßen von Paris durchwanderte, auch Walter Benjamin, der einmal sagte: »Im Flaneur begibt sich die Intelligenz auf den Markt«.

Warum das alles hier? Nun, auch Wolfgang Minaty ist ein Flaneur, ein moderner, der nicht nur durch die Straßen seiner Stadt geht, sondern der häufig auch die Eisenbahn nimmt, selbst den Güterzug, gelegentlich sogar die Eisenbahn Chinas auf einer Fahrt von Hongkong nach Shanghai oder auch die Bahn nach Paris – um dort die Welt zu beobachten, oder besser: um sie zu beschreiben. Belletristik? Er selbst rechnet seine Beiträge ihr zu, aber ich denke, er hat gegen den Flaneur nichts einzuwenden. Der Umkreis seiner Erfahrung lässt sich natürlich mit dem des Stadtenthusiasten des 19. Jahrhunderts nicht im entferntesten vergleichen, er hat die Welt durchwandert, realiter und auch literarisch – sei es die Welt des Louvre oder die Welt eines Krankenhauses, die Welt Heinrich Heines und seiner Loreley, die Welt der Weihnachtsmärkte oder die der Fastnachts-Späße, oder auch, wissensdurstig, die Welt des Brockhaus. Und wer etwas über die Türkenfahne im Augsburger Dom erfahren möchte, ist gut beraten, seinen Bericht darüber zu Rate zu ziehen. Aber er hat auch die Soldatengräber vom Hartmannsweilerkopf besucht – ich habe nie etwas Beklemmenderes, Verstörenderes, Bewegenderes gelesen als diese Schilderung der Hinterlassenschaften eines Weltkrieges. Man hört durch Minatys Bericht hindurch die Stille, die über den Friedhöfen liegt. Aber natürlich ist da auch die deutsche Literatur, die er durchwandert. Eben ein Flaneur, aber nicht in octav, also im Taschenformat, sondern, man darf das ohne Übertreibung sagen, in folio, also weltweit orientiert.

Man liest seine Arbeiten mit Spannung, möchte ihn beneiden um die Klarheit und Eindringlichkeit seiner Sprache, die so vieles im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich macht, und mehr als das: er lässt uns teilnehmen an seinen Beobachtungen, wenn wir selbst ein wenig Flaneure werden, wenn wir uns in seine Aufzeichnungen und Dokumentationen hineinbegeben, seine Reiseberichte und seine Kommentare lesen zu dem, was er sieht, hört, fühlt. Es gibt auch literarische Glossen, zwanzig an der Zahl: gewissermaßen über manches hin verteilte Beobachtungen im Vorübergehen. Minaty hat gut hingesehen, den Finger auf wunde Stellen in unserem Literaturbetrieb gelegt, und nicht nur darauf. Alltägliches wird da unter die Lupe genommen, das aber beim Hindurchsehen durch diese alles andere als alltäglich ist, sondern fragwürdig, sei es nun die Berlinale oder die Frankfurter Buchmesse, sei es die Rechtschreibreform, ein Affentheater nach Minaty (so sagt er mit Recht), sei es eine Verhandlung vor einem Amtsgericht – witzig geschrieben alles, nachdenklich machend auch alles. Das sind Texte, mit denen und über die man sich amüsieren kann, aber die meisten haben einen dunklen Untergrund; da liegt vieles im argen, im Kulturbetrieb und anderswo, und Minaty öffnet dafür die Augen: da wird Aufklärung betrieben. Aber fast immer sind auch Sprachspiele dabei, die das Lesen zum Vergnügen machen. Ein Sprachfeuerwerk etwa seine Überlegungen, was cathedrals, Münster und Dom miteinander zu tun haben. Kunst der Miniaturen. Er kann einfach gut schreiben. Da sind keine abstrakten Unverständlichkeiten und keine gestelzten besserwisserischen Kommentare, da ist Anschaulichkeit, ist Nähe, Intensität einer Darstellungskunst, die ihresgleichen sucht.

 

Der Kunstpreis des Landkreises Augsburg

Weitere Preisträger und Preisträgerinnen

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